CORD MEIJERING COMPOSER

"No man ever steps in the same river twice" (Heraclitus)

CORD MEIJERING
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KÖNIGSKINDER
composed in
2015

duration
approx. 10 min. 3 sec.

dedicated to
secret dedication

first performance
february 26, 2016
Akademie für Tonkunst, Darmstadt, Germany
PHORMINX-ENSEMBLE DARMSTADT
Angelika Bender, flute (alt. picc., bass flute, ocarina)
Thomas Löffler, clarinet Bb (alt. bass clarinet)
Alwyn Westbrooke, violin (alt. dschugbi, korean temple bell)
Wolfgang Lessing, violoncello

publisher
EDITION MEIJERING

program notes (german)
Meine Komposition KÖNIGSKINDER ist eine Trauermusik auf das Ende der “Liebe des Lebens” und auf die Unmöglichkeit, dieser unersetzbaren Liebe eine neue Liebe folgen zu lassen. Zugrunde liegt ihr das bekannte Volkslied, das beginnt mit dem Vers “Es waren zwei Königskinder, die hatten einander so lieb. Sie konnten beisammen nicht kommen, das Wasser war viel zu tief”. Es endet mit den Worten “Da hört man Glöcklein läuten, da hört man Jammer und Not. Hier liegen zwei Königskinder, die sind alle beide tot!

Das Werk ist Teil einer Reihe von Trauermusiken, die ich in den letzten Jahren schrieb: LACHRIMÆ für Sopran und Orchester, TOMBEAU DE HANS WERNER HENZE für Violoncello solo und 13 Instrumente und mein neuestes Werk (Han) für Orchester, das vor wenigen Tagen in Cheongju (Süd-Korea) uraufgeführt wurde.

Ich begann beim Komponieren damit, aus dem Volkslied diejenigen Motive und Phrasen herauszulösen, die mir geeignet schienen, sich in sehr körperlich wirkende und den Tonfall der Trauer erzeugende Gesten verwandeln zu lassen. Beispielhaft genannt seien der Große-Sext- Aufschwung des Beginns (einatmen, sich aufraffen, der vergebliche Versuch Kraft zu schöpfen), die Ton-Repetitionen (beteuern oder auch das Schicksal anklagen), die absteigenden Linien (erschöpft ausatmen, resignieren) etc.

Im fortlaufenden Komponierprozess überdehnte ich die rhythmischen Werte dieser Motive und Phrasen auf unregelmäßige Weise so weit aus, bis die empfundenen Trauer-Affekte und der melodische Gestus eines schweren, kaum gelingen wollenden Atmens zur Darstellung gelangten. Das Ganze konfrontierte ich immer wieder mit zerbrochenen koreanisch inspirierten Rhythmen.

Die Harmonik changiert zwischen einer vollkommenen, vom Schmerz ausgelösten Chromatik und der erschöpft Frieden finden wollenden Tonikalität des Volksliedes.

Als Instrumentarium wählte ich außer verschiedenen Flöten, Klarinetten, der Violine und dem Violoncello, eine Ocarina, eine koreanische buddhistische Glocke und ein 죽비 (Dschugbi). Die Ocarina erinnert für mich an den fernen Klang einer fahlen Stimme. Gegen Ende des Werkes intoniert sie in unregelmäßigen Atemzügen die Melodie von den zwei Königskindern. Wie beim Gesang im TOMBEAU DE HANS WERNER HENZE soll hiermit der Musik eine größere Dimension von Humanität und Verbindlichkeit hinzugefügt werden. Die Glocke markiert den Beginn beziehungsweise das Ende der einzelnen Formteile. Solche Glocken hängen im Freien an den äußersten Spitzen der geschwungenen Dächer buddhistischer Tempel in Korea. Der Klang wird allein vom Wind erzeugt. Das 죽비 (Dschugbi) ist eigentlich kein Instrument. In der koreanisch-buddhistischen Meditation schlagen sich die Mönche damit immer wieder mal auf den Rücken, um der Ermüdung beim Meditieren entgegenzuwirken.

Das Grundgefühl in KÖNIGSKINDER versucht sich dem (Han) anzunähern. Das Zeichen bedeutet im modernen Chinesischen soviel wie “Hass”. Im Koreanischen bezeichnet es hingegen das Grundgefühl der über die Jahrhunderte hinweg immer wieder von ihren Nachbarn angegriffenen, tief verletzten Koreaner. Es bedeutet es soviel wie tiefes, geisterhaftes Leiden an der Welt. Nach Aussagen meiner koreanischen Freunde und nach Aussagen von Ethnologen, die sich mit Han über viele Jahre befasst haben, gibt es dieses Gefühl nur in Korea und kann in seiner Ganzheit nur von Koreanern erfasst werden. Auch andere Länder haben für ihre eigene Art des Schmerzempfindens spezielle Worte gebildet: beim spanischen Dichter Federico Garcia Lorca finden wir den häufigen Gebrauch des Wortes “Duende” (Gespenst). In Portugal verwendet man den Begriff “Fado” (Schicksal). Die Deutschen erfanden für sich das Wort “Weltschmerz”. In meinem neuesten Orchesterwerk, das diesen Titel trägt, habe ich versucht dieses dem Ausdruck des spätromantischen “Weltschmerzes” gegenüberzustellen. Ich danke der amerikanischen und in Korea lebenden Musikethnologin und Gayageum-Spielerin Jocelyn Clark für die zahlreichen Hinweise bei meinem Bemühen das zu verstehen.