for orchestra
1 flute, 1 picc. flute, 2 oboes, 2 clarinets, 1 bassons, 1 contra bassoon, 4 horns, 2 trumpets, 2 tenor trombones, 1 bass trombone, 1 tuba, timpani,1 harp, strings
composed in2002
commissioned by the City of Darmstadt
durationapprox. 11 min. 20 sec.
dedicated toin memoriam Gertie Charlent
first performanceoctober 10, 2002
Staatstheater Darmstadt, Germany
30th anniversary of the theater of Darmstadt
Orchestra of the Staatstheater Darmstadt
conductor: Stefan Blunier
publisherEDITION MEIJERINGprogram notesMein Werk „Orchesterskizze Feuergesicht“ ist eine Vorstudie. Seit einiger Zeit arbeite ich an der Komposition einer Oper nach dem Schauspiel FEUERGESICHT von Marius von Mayenburg. Gewöhnlich stellt man sich das Herangehen an ein großes Projekt wie eine Oper so vor, dass der Komponist zunächst versucht, eine genaue Vorstellung von den Charakteren zu bekommen, die Szenen zu interpretieren, das Geschehen zu analysieren, um danach schließlich mit der Komposition der Musik zu beginnen. In meinem Fall ist die Reihenfolge eine andere.
Zur Handlung des Schauspieltextes:
Es gibt 5 Personen: Kurt und seine Schwester Olga, deren Mutter und den Vater Hans sowie Olgas Freund Paul. Das Verhältnis zwischen den Eltern und den Kindern ist gestört, das zwischen Kurt und Olga dafür umso intensiver. Kurt glaubt, sich an seine Geburt erinnern zu können und ist besessen von einem Gedanken:
„Einzeln werden, sich rauskappen aus den Verbindungen und alles dicht machen, alles dicht und eng gepackt...“
- „alles dicht und eng gepackt“ – wie Sprengstoff.
Kurt beginnt Feuersätze zu bauen, wobei Olga zu seiner Komplizin wird. Er beginnt Häuser anzuzünden, auch seine Schule. Als er einmal mit vollkommen verbranntem Gesicht von einer seiner nächtlichen Feuertouren heimkommt, erkennen seine Eltern die Dimensionen seines Verhaltens. Sie sind hilflos und wollen in ihrer Hilflosigkeit Kurt der Polizei übergeben. Olga verrät dies Vorhaben an Kurt. Kurt erschlägt des nachts seine Eltern mit einem Hammer in deren Schlafzimmer. Olga wird alles unerträglich. Sie verlässt mit Paul das Haus. Kurt bleibt allein zurück, begießt die Bühne und sich selbst mit Benzin und entzündet ein Streichholz ...
Mit meinem Orchesterstück habe ich versucht, Kurts Charakter auf komponierende Weise zu verstehen. Das heißt: Am Anfang meiner Arbeit an der Oper steht keine Analyse des Schauspiels sondern das Erleben einer Aufführung. Dann habe ich mir ganz intensiv Kurt vorgestellt, so wie er mir in der Aufführung erschienen war. Ich habe dabei die Musik so komponiert, als wäre das Orchester Kurts Körper, die Bewegungen des Orchesters Kurts Bewegungen - die äußeren Muskelbewegungen und Kurts innere Bewegtheit. Die Flöte: der kleine Finger Kurts und eine Faser seines Schmerzempfindens gleichzeitig, die Saiten der Streicher: seine Haare - Haare, die Schmerz empfinden können, wenn man über sie streicht. etc. Ich selbst, der Komponist, beobachte dieses Monstrum, das auch ein schöner Mensch ist, und das sich bewegt, das mich bewegt. Ich habe versucht, diese Bewegtheit aufzuzeichnen, so wie ein Seismograph eine Erderschütterung. Ich habe weiterhin versucht, von Verdi den Monorhythmus zu erlernen. Das ist der Rhythmus, die rhythmische Zelle, die sich durch das ganze Stück hindurchzieht, die auf mich einhämmert, meine Hormone freisetzt, mal schnell, mal langsamer, wie ein Mantra, ein Mantra, das weiß, daß ich erst nach der einhundertfünfzigsten Wiederholung reagiere. Als schließlich die Orchestermusik fertiggestellt war, erschien sie mir selbst wie ein Monstrum. Ich befragte sie - d.h. die Musik -bezüglich Kurts Charakter, im Nachhinein, nach dem Komponieren, als alles fertig war. Die Musik erzählte mir von seiner Pubertät, von seiner Begeisterung für eine spätromantisch aufgeblasene Melodik - irgendwo zwischen Gustav Mahler und Jimi Hendrix, monströs, aufgepumpt, überdreht, narzißtisch. Der Monorhythmus, der mein Orchesterstück durchzieht, ist der Rhythmus der Hammerschläge, mit denen Kurt seine Eltern erschlägt.
Cord Meijering
Darmstadt im Mai 2002