CORD MEIJERING COMPOSER

"No man ever steps in the same river twice" (Heraclitus)

CORD MEIJERING
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TU M'HAI SÌ PIENA DI DOLOR LA MENTE
composed in
1997

duration
approx. 10 min. 30 sec.

dedicated to
secret

first performance
March 27, 1998
Altes Theater Darmstadt, Germany
Angelika Bender, flute
Thomas Löffler, clarinet

publisher
EDITION MEIJERING

program notes (german)

Tu m'hai sì piena di dolor la mente,
che l'anima si briga di partire,
e li sospir' che manda 'l cor dolente
mostrano agli occhi che non può soffrire.
Amor, che lo tuo grande valor sente,
dice: "E’mi duo che ti convien morire
per questa fiera donna, che nїente
par che pietate di te voglia udire."
I’vo come colui ch’è fuor di vita,
che pare, a chi lo sguarda, ch’omo sia
fatto di rame o di pietra o di legno,
che si conduca sol per maestria
e porti ne lo core una ferita
che sia, com’egli è morto, aperto segno.
(Guido Cavalcanti)


German translation:

Du hast den Geist mit Schmerzen mir befrachtet,
dass meine arme Seele will entschwinden.
Durch diese Qualen ist mein Herz entmachtet,
kein Seufzen kann mein Elend überwinden.
Die Liebe, die dich immer hoch geachtet,
sagt mir: "Mich schmerzt, dir deinen Tod zu künden;
die stolze Frau hat deinen Sinn umnachtet,
doch wirst du niemals Mitleid bei ihr finden."
Es ist, als sei mein Leben schon verzehrt;
So geh ich hin, und wer mich sieht, muss denken:
Der ist aus Kupfer, Holz, aus Stein gemacht,
den zauberhafte Kräfte nur noch lenken.
Die Wunde, die in seinem Herzen schwärt,
zeigt an: der Tod hat ihn in seiner Macht.


Mein Duo „Tu m’hai sì piena di dolor la mente...“ für Flöte und Klarinette habe ich im Dezember 1997 in Ouagadougou und Gorom Gorom (Burkina Faso, Westafrika) komponiert. Es ist ein musikalisches „Selbstgespräch“ geschrieben unter der glühenden Sonne der während der Trockenzeit mehr als kargen Sahelzone. Der Harmattan, der still und stetig zwischen dornigen Akazien dahinwehte, sorgte für eine Omnipräsenz allerfeinster Sandstaubpartikel, die im Laufe des Komponierens das Papier mit einer knirschenden, rötlich schimmernden Schicht überzogen. Für zwei Wochen gab es aus all dem kein Entrinnen.

Die Kopfzeile eines Gedichts von Guido Cavalcanti (ca. 1255-1300) wählte ich als Titel. Das verwendete Tonmaterial ist auf sechs verschiedene Töne begrenzt. Es handelt sich dabei um die a-moll-Skala ohne VI. und VII Stufe plus ein dissonierendes es. Einzige Ausnahme ist der Schlußton g, der jedoch nur leise angedeutet in Form eines Luftgeräusches der Flöte erscheint. Nicht nur das Tonmaterial selbst ist festgelegt, sondern auch die Richtung, in der die Töne fließen, d. h. die Reihenfolge: es-a-e-es-c-h-a-d.

Cavalcanti war ein Meister des inneren Theaters. Wenn er von sich selbst sprach, so schilderte er eine Bühne , auf der die Seele, der Geist, das Herz, das Leben, die Liebe, die Trauer, zauberhafte Kräfte etc. in der Gestalt handelnder Personen ein in grausamer Konsequenz sich vollziehendes Drama spielen - das eigene Ich aufgespalten in unendlich personifizierte Instanzen des Bewußtseins. Wesentlich ist für den Verlauf von Spannung und Energie, dass Cavalcantis inneres Theater zwar einerseits als aufs höchste bewegt erscheint, andererseit aber auch dazu verurteilt ist, die Bühne des eigenen Ichs mit seiner Monothematik (Liebe) niemals verlassen zu können. Somit gibt es eine auf Konflikt, Bewegung und Entwicklung ausgerichtete, wie auch eine entwicklungslose, in sich selbst kreisende Ebene. Letztere ist wiederum von widersprüchlicher Wirkung: - einmal erscheint sie als ein Ruhen, ein anderes mal als ein Gefangensein.

In meiner Musik findet sich Entsprechendes: einerseits habe ich das Tonmaterial gleich einer idée fixe über das ganze Stück hin beibehalten (Bordun - Ruhepol und „Käfig“), zum anderen habe ich mich (auf der auf Entwicklung ausgerichteten, gestischen Ebene) bemüht, diesem begrenzten Tonmaterial möglichst zahlreiche, verschiedenartige Gestalten abzugewinnen - Gestalten, die dann ihrerseits ein Drama in der Art Cavalcantis miteinander spielen: sie drängen zwar auf Entwicklung oder resignieren oder ruhen sie in sich selbst, doch stets sind sie gefangen im monothematischen Tonhöhenverlauf, aus dem es kein Entrinnen gibt.

Da es sich bei all diesen Vorgängen um ein inneres Drama handelt, ist alles Laute nur dann laut, wenn es kurzfristig nach außen dringt, ansonsten erscheint es leise wie die Bewegtheit eines weit entfernten, kaum vernehmbaren Schmerztons.